|
XXXIII.
Viola-Kongress Reykjavik 2. - 5. Juni 2005
Das
Zusammentreffen internationaler Bratschisten ist immer wieder ein
Erlebnis; wer einmal dabei war, kommt immer wieder.
Die Begegnung - bisweilen auch Auseinandersetzung - mit Musik für
Bratsche in den verschiedensten Kombination steht dabei im Vordergrund.
Aber auch das gegenseitige Kennenlernen - oft ist es doch eher ein
Wiedersehen - und der Erfahrungsaustausch werden eifrig gepflegt.
Nun
habe ich schon einige Bratschenkongresse besucht, die Tagesordnungen
ähneln sich - Meisterklassen, zeitgenössische und landestypische
Kammermusik, Konzerte, - und doch hat jede Veranstaltung ihr eigenes
Flair. Dieses Mal durfte ich in Island in das Land der nie untergehenden
Sonne eintauchen. Das ist merkwürdig, wenn man nachts von der Konzertnachlese
kommend sein Quartier ansteuert und es ist noch taghell. Die zeitliche
Orientierung geht völlig verloren.
Im
Kulturhaus fand dann der offizielle Empfang des XXXIII. Internationalen
Viola-Kongresses in Reykjavik statt. Die
Begrüßung erfolgte durch den Präsidenten der Internationalen Viola
Society (Michael Vidulich), damit einhergehend die Ausstaffierung
der Teilnehmer mit den obligatorischen Namenskärtchen zum Anstecken,
anhand derer man sich in der ganzen Stadt als Kongressteilnehmer
outete. Jeder bekam einen Umhängebeutel der isländischen Gastgeber
als Souvenir, bestückt mit einem sehr ausführlichen und übersichtlichen
Hochglanzprospekt über die Veranstaltungen der folgenden Tage.
Sesselja Halldórsdóttir, die isländische Seele der Organisation,
die nach all den Mühen der Vormonate nun langsam die Früchte ihrer
Vorbereitungen ernten konnte, wirkte anfänglich noch etwas steif
mit ihren knappen Instruktionen: "Bitte tragen Sie sich in die Teilnehmerliste
für den Tagesausflug ein. Um 12.00 Uhr ist Ausflug zu den Elven
und Trolls, wir bilden Fahrgemeinschaften, Treffpunkt…. Bitte nicht
rauchen. Gemeinsames Beisammensein abends im Kaffe Reykjavik, 2
Gehminuten….." Im Laufe der Tage taute sie auf, merkte sie doch,
dass alles wie am Schnürchen lief, so perfekt organisiert war einfach
keine Steigerung mehr möglich und da blieb dann auch Zeit für ein
Schwätzchen: "Was, Du hast Deine Bratsche nicht dabei? Nimm meine!"
So kam ich also in den Genuss, die musikalische Weltliteratur -
arrangiert für 4 bis 8 Bratschen - zu interpretieren, welches dann
als kleines Ständchen offiziell zu Gehör kam.
Die
Tage waren ausgefüllt von einer umfangreichen und vielschichtigen
Tagesordnung, die Interpreten gaben sich nahtlos die Türklinke in
die Hand, so dass man sich des Abends fragte, habe ich das wirklich
alles an einem Tag erlebt?
Interessant
die Meisterklassen der russischen, amerikanischen und skandinavischen
Schule, unterschiedliche Temperamente, die in vielen Dingen gleichermaßen
auf die selben Problempunkte zu sprechen kommen: die Haltung und
die Bewegungsabläufe während des Spielens und die Umsetzung in Phrasen.
Die Betrachtungen zwischen Atmung und Spiel werden oft fälschlicherweise
nur der Bläserszene zugeordnet, doch werden wir Zeuge, wie sich
die aufgeregte junge Dame dank der jovialen Art von Pädagoge Wheeler,
der vehement zupackend ihre verkrampften Schultern lockert und sie
zu einer tiefen Bauchatmung animiert, plötzlich perfekt den Oktavaufgang
im 1. Satz des Stamitzkonzertes beherrschte.
Wir
lernen in den Kammerkonzerten viel unbekannte, vor allem zeitgenössische
Musik kennen, gespielt von hochkarätigen Gästen aus aller Welt und
auch die Bratschengruppe des Iceland Symphony Orchestra gibt sich
- sehr damenlastig - die Ehre. Wir begeben uns auf befremdliches
Terrain, erleben Henrik Frendin, einen schwedischen Grenzgänger,
der uns zusammen mit seinem PC-Kollegen auf der verkabelten Bratsche
in die Welt des "real beat" entführt. Er spricht von "electrical
and accustical environment, you actually don't hear it, you experience
it." Ja, eine Performance dieser Art ist ganz neckisch, sieht man
es weniger als musikalisches, sondern eher als exzentrisches happening.
Neben
dem musikalischen Austausch überschlagen sich die Gastgeber in ihren
Aktivitäten, uns ihre Heimat näherzubringen. Mit einer Busladung
voller Bratschisten - was für eine herrliche Vorstellung! - , erkunden
wir das wunderschöne Landesinnere - Lavafelder, Geysiere, Wasserfälle
- und hören viele nette Geschichten und Sagen. Viel Wissenswertes
selbstverständlich auch über Elfen und Trolls, obwohl sie eigentlich
noch niemand je gesehen hat. Wir sind auch erleichtert zu hören,
dass Musiker dort zu Lande großes Ansehen genießen. Nicht nur heute,
sondern auch zu früheren Zeiten. Schon vor einigen Jahrhunderten
manifestierte sich eine grundsätzliche Gesetzesänderung, die den
Status der Musiker existentiell verbesserte. Die "Vogelfreiheit"
wurde aufgehoben; es stand von nun an unter Strafe, einen Musikus
zu töten - nein, hierfür musste man zuvor eine Gebühr entrichten!
Mittlerweile
genießen Bratscher in Island durchaus ein gewisses Ansehen, Radio
und Fernsehen sind überaus interessiert, dieses Ereignis zu begleiten;
von so einem Zusammentreffen habe man noch nie gehört, wie uns der
Bürgermeister von Reykjavik auf einem Empfang bei Kaviar und Sekt
versicherte. Allgemeine Erheiterung erntet er mit seinem kleinen
Versprecher "Violin-Congress", hat die Generalprobe zuvor doch noch
prima geklappt. Sehr herzlich die Gastfreundschaft, zu der sich
die ganze Bratschenprominenz gesellte.
Wir
erleben außergewöhnliche Musikeinlagen an ungewöhlichen Orten. In
Thingvellir - einem Naturpark - spielt Anna mit traditionellen Volkliedern
auf, begleitet von ihrem Freund an einem Naturstein-Xylophon. Sie
ist ein sprühendes Energiebündel von mitreißender Begeisterung,
sogleich singen alle Isländer mit, der lebende Beweis, dass nordisch
nicht gleichbedeutend ist mit elegischem Moll.
Große,
exponierte Auftritte erleben wir mit Garth Knox, ein fantastischer
Vertreter des Zeitgenössischen, und natürlich mit Yuri Bashmet und
dem Iceland Symphony Orchestra, wie so oft in Personalunion als
Dirigent und Solist (Hoffmeister-Konzert). Ein Erlebnis besonderer
Güte war der Duo-Abend von Lars Anders Tomter alternativ mit der
Geigerin Sigrun Edvaldsdottir und der fabelhaften Gunnila Süssmann
am Klavier. Der Höhepunkt des Abends: die César Franck A-Dur Sonate
für Violine, auch wenn es manchem Puristen bitter aufstößt, dass
die Adaption für Bratsche bisweilen andere Wendungen nimmt. Wie
passend Tomter's Beiname: The Nordic Giant. Und wie sympathisch
seine Eigenheiten; schmunzelnd verfolgen wir das sukzessive Beseitigen
seiner Notenblattsammlung, das lose Fallen der Blätter, die am Ende
des Abends die ganze Bühne eindecken.
Wie
hat es Mr. President auf der Abschiedsparty so treffend formuliert,
es muss sie doch geben, die Elfen und Trolls, die so unermüdlich
im Hintergrund gewirkt haben. Und was habe ich mitgenommen? Viele
neue Eindrücke eines faszinierendes Landes, nette Kontakte und inzwischen
versuche ich mich an den 3 Madrigalen von Martinu, die ich live
erleben durfte.
Und
um die Parallele zum Fußball zu ziehen, "nach dem Spiel ist vor
dem Spiel", natürlich geht es nahtlos weiter mit den Vorbereitungen
des nächsten Kongresses. Jutta Puchhammer, als Gastgeberin in Montreal
2006, hat uns schon einen Vorgeschmack gegeben, was uns erwartet;
soviel vorab: es lohnt sich (siehe: www.viola-gesellschaft.de und
www.violacongress2006.ca)!
Cornelia
Brányik, Juni 2005
|
|